#014 – Sebastian Czaja | Vorsitzender der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus

Okt 29, 2020 | Interview, Politik, Staffel Eins

Aktuelle Episode in Worten

Hello again beim HAUPTSTADTPODCAST and hello again, Politik-Talk. Heute mit Sebastian Czaja, Fraktionsvorsitzender der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus.

Wann gibt’s Was

  • Czaja über die “Stadt der Freiheit”, egal, ob Marzahn oder Zehlendorf. Von Selbstverwirklichung und seiner Motivation für die Politik (ab Minute 1:00)
  • Abgehoben? Ganz und gar nicht. Kein Flughafen Tegel mehr und der BER als noch jahrelange Baustelle (ab Minute 9:40)
  • Warum denn die FDP? Czaja ergreift “Partei” (ab Minute 18:00)
  • “Es darf keine Tabus beim Denken geben”- Warum Stärkung der Infrastruktur immer wichtiger wird im immer voller werdenden Berlin (ab Minute 29:00)
  • Boot-Camp oder Wahlkampf? Erstaunlich viele Parallelen sind jedenfalls erkennbar (ab Minute 36:30)
  • Jeder hat ein Vorbild? Nein, der Politiker hat mehrere! (ab Minute 45:30)
  • Eigenverantwortung und gelebte Solidarität: Pandemiezeiten. Und warum Kultur, Kiez und Kiezkultur nicht vernachlässigt werden dürfen (ab Minute 53:00)
  • Die Suche nach dem/der Richtige*n. Nein, keine Dating-Apps, aber andere Möglichkeiten. Und: wer hat in Sebastians Augen einen Auftritt beim HAUPTSTADTPODCAST verdient? (ab Minute 1:07)

Highway from Hellersdorf to Zehlendorf

Wolfgang lernt auch immer mehr dazu was die Politik angeht. Deshalb würde er Sebastian am liebsten direkt zu Anfang mit tausenden Fragen bombardieren möchte. Aber ganz von vorne: Was liebt der ehrgeizige Politiker an seiner Heimatstadt am meisten und was mag er eher nicht so? Für ihn ist Berlin die Stadt der Freiheit (am Leuchten in seinen Augen deute ich jetzt mal, das ist ein Pluspunkt für Berlin), ein Ort, an dem man sich selbst verwirklichen kann. Das hat er selbst erlebt: aufgewachsen und viele Jahre gelebt in Marzahn Hellersdorf, absolvierte er zunächst eine Ausbildung als Elektroinstallateur, hängte sein Abi noch hintendran und arbeite dann für Ingenieur und Architektengesellschaften. Dieses “sich selbst verwirklichen” möchte er zurückgeben und auch anderen in Berlin ermöglichen, das war seine Motivation, in die Politik einzusteigen.

Wortwörtlich am Boden der Tatsachen bleiben

Brandaktuelles Thema: Die Schließung des Flughafen Tegel, gegen die Sebastian übrigens wacker gekämpft hat und die Eröffnung des BER, die nahezu an ein Weltwunder grenzt. Wo es jetzt einen Ausweichflughafen geben soll? Weiß niemand. Wo die sechs Milliarden Euro hingeflossen sind? Dafür ist der Untersuchungsausschuss zuständig. Fragt sich Sebastian aber auch. Es klingt fast wie ein Scherz (aber ein schlechter), dass bis ins Jahr 2040 der BER trotzdem weiterhin eine Baustelle bleiben wird. Aber immerhin: “Die Atmosphäre ist schön dort, muss man sagen.” Seiner Meinung nach wären die Gelder aber definitiv besser in Bildungsstätten geflossen.

Czaja- der junge, kontroverse FDPler, der auch schon mal einstecken musste

Warum gerade FDP und warum gerade FDP in Berlin? “Weil das die Partei ist, die immer dafür gesorgt hat, dass du deinen eigenen Weg im Leben gehen kannst.” Und zwar ganz unabhängig von Herkunft, sozialem Umfeld, etc. Für seine teils kontroversen Aussagen und Tweets hat er auch schon den ein oder anderen Shitstorm geerntet, was in der heutigen Zeit aber nicht zu umgehen ist, denn man ist einfach “mediales Freiwild”, wie er es nennt. Jeder, er in der (medialen) Öffentlichkeit steht, hat auch Gegner. Klares Statement von ihm: Politik sollte nicht den Menschen verändern. Ich füge hinzu: Der Mensch verändert die Politik. Sodass immer der Mensch im Vordergrund und der aktive Part bleibt.

Es wird voll in Berlin! Kreativität und Innovation sind gefragt

Jeder will nach Berlin, weniger wieder weg. Folge: Die Einwohnerzahlen werden bald die 4 Millionen Grenze knacken! Wohnraum ist knapp, Freiflächen auch. Czaja hält es für besonders wichtig, die Infrastruktur zu stärken und neue, innovative Baukulturen auszuprobieren. “Es darf keine Tabus beim Denken geben.” Die vorhandenen Flächen besser nutzen (beispielsweise Hotels auf dem Dach von Einkaufscentren wie in Lichtenberg). Bauen und Wohnen hängen unweigerlich mit der Wirtschaft zusammen, wo neue Arbeitsplätze sind, wird dementsprechend auch gebaut. Am Ort des Geschehens,..

..Nicht nur auf dem Rednerpodium

Früher war alles besser? Sicher nicht, aber Wahlkampagnen ein wenig anders als heute. Die Drei schwelgen in Erinnerungen. Damals klebte Sebastian die Plakate noch selbst an Wände, Laternen und sonstige Flächen (ja, auch hier gibt es natürlich Regeln “Was darf beklebt werden und was nicht”). Zwischen 16 und 18 Stunden am Tag wird während der Wahlkampagne gearbeitet, unter Bedingungen, die einem 4-wöchigen Survival Camp ähneln. Selbst auferlegtes Alkoholverbot, durchplanter Koffeinkonsum, wenig Schlaf- klingt wirklich nach Hochleistungssport. Aber nur so kann Czaja beim Wahlkampf abliefern, wie und was er möchte: Präsenz, Kontinuität, das Gespräch und den Kontakt suchen, zuhören, an der Wählerschaft dran sein und die Realität sehen. “Ich verinnerliche mir das jeden Tag, dass ich immer wieder darum kämpfen muss, es weitermachen zu dürfen, aber ich mache es gerne.”

Corona-Chaos beenden

Wie von jedem unserer Gäste wollen wir auch heute ein paar Worte zur persönlichen Corona-Einschätzung hören. Ein Politiker hat da natürlich nochmal ein bisschen mehr zu sagen- wortwörtlich. Was wir in den letzten Wochen fast durch die Reihe durch von allen gehört haben: Den Menschen muss die Angst genommen werden. Nicht der Respekt, nur die Angst. Und das funktioniert eben nur, wenn die ständig neuen Regeln und Maßnahmen erklärt und verständlich gemacht werden. Denn wie es Sebastian perfekt auf den Punkt bringt: “Was hilft, sind jetzt Eigenverantwortung und gelebte Solidarität.” Auch ein besseres Gesundheitskonzept für die Gastronomien hält er für wichtig, sodass die Restaurants, Bars und Cafés auch im Winter trotz der Pandemie nicht komplett geschlossen bleiben müssen. Er ist für “Helfen und gemeinsame Pläne entwickeln”. Denn als echter Berliner liegt ihm die Kiezkultur am Herzen, nicht nur aus rein wirtschaftlicher Sicht.

Wie finde ich nur die/den Richtige*n?

Die Frage nach der für sich persönlich “passendsten” Partei stellt sich Jedem. Insbesondere denen, die ansonsten nicht allzu viel mit Politik am Hut haben. Hier kann der Wahl-O-Mat helfen, aber auch der ist, laut Sebastian, mit Vorsicht zu genießen, kann jedoch zumindest vielleicht eine grobe Richtung weisen. Sein Tipp? Sich drei Themen, die einen besonders interessieren und tangieren auswählen auf die Parteien anwenden. So wird der endlose Politik-Urwald doch ein bisschen durchschaubarer und man findet vielleicht sogar seine eigene Lichtung mit einer passenden Partei darauf.
Als nächsten Gast wünscht sich Czaja übrigens zwei sehr gegensätzliche Berliner*innen : Franziska Giffey, Bezirksbürgermeisterin von Neukölln und SPD-Kandidatin für das Abgeordnetenhaus oder aber Curry Paule: ein Mann, der selbst zur Marke wurde. Na dann, stellen wir uns mal auf beide ein- und werden im Endeffekt trotzdem überrascht. Vielleicht ja mit Bratwurstbruzeln im Hintergrund.